Kollaboration ist wichtig. Kollaboration ist hip und darf auf keiner Webseite fehlen, wenn es darum geht sich ein schickes, integreres Image zu verpassen. Gerade in kreativen Kreisen gehört der „kollaborative Gedanke“ einfach dazu.
In der Außenkommunikation kommt das extrem gut an. Denn Kollaboration klingt nach Offenheit, Nähe und Kollegialität. Wer will nicht gern mit aufgeschlossenen Menschen zusammenarbeiten? Kollaboration verspricht das, was sich viele Künstler*innen und Kreative sehnlichst wünschen: eine Andockfläche für gemeinsame Projekte, ein buntes Netzwerk & potenzielle Chancen.
Aber wie es um die Kollaboration und Aufgeschlossenheit einer Organisation wirklich steht, das erfährt man als Externe*r erst, wenn man eine Kollaborationsanfrage stellt aka. versucht, Kontakt mit den entsprechenden Akteur*innen aufzunehmen.
Als Künstler*in und Kreative gehört das für mich zum Tagesgeschehen. Ich streife durchs Netz und mir springen laufend coole, modernste Locations/Agenturen/Veranstaltungsräume/ Kultureinrichtungen/Organisationen ins Auge, die so einen schönen Webauftritt hinlegen und richtig coole Projekte umsetzen, dass ich gar nicht anders kann als mich vernetzen zu wollen. Also ran an die Tasten und einfach mal nett vorstellen und schauen, ob es Anknüpfungspunkte gibt. Zumindest, wenn ich es durch die erste Hürde schaffe und es überhaupt eine Mailadresse oder ein Kontaktformular gibt, was eine Kontaktaufnahme möglich macht.
Was leider häufig nach einer solchen Kontaktanfrage passiert: nichts. Die meisten E-Mails werden in der Regel gar nicht beantwortet. Ganz egal, ob diese personalisiert sind (sprich direkt an eine*n Ansprechpartner*in adressiert sind), ich mich eigens über das Kontaktformular für Netzwerkanfragen gemeldet habe oder ich ein ganz konkretes Anliegen habe. Alles getestet. 😉 In 9 von 10 Fällen werden Netzwerkanfragen per Mail erfahrungsgemäß ignoriert.
Im Laufe der Jahre habe ich diesbezüglich eine Theorie entwickelt, die ich die drei Stadien der Aufgeschlossenheit nenne.
Dafür müssen wir uns einmal in die Lage einer hippen Kultureinrichtung mit „kollaborativem Ansatz“ versetzen, wie ich sie oben beschreibe.
Stadium 1: „Kollaboration fetzt!“
Wenn sich eine solche Organisation gründet, sprich noch in den Kinderschuhen steckt, dann wird Kollaboration noch ziemlich großgeschrieben. Man will schließlich wachsen, sich entwickeln, netzwerken. Neue Partner*innen sind einem zu dem Zeitpunkt stets willkommen. Es herrscht der allgemeine Tonus, dass Künstler*innen und Kreative positive Impulse einbringen. Anders formuliert: Die kreative Kuh wird ordentlich gemolken. Es werden coole, erste Projekte ins Leben gerufen und das Ding nimmt langsam Form an. Der Kollaboration sei Dank!
Stadium 2: „Das Boot ist voll.“
Sobald die Sache langsam Fahrt aufnimmt, steigen auch die Ansprüche. Nun hat man ziemlich genaue Vorstellungen davon, mit wem oder was man noch kollaborieren möchte. Alles, was nicht in dieses Raster passt, wird also schon mal rigoros ausgesiebt. Die Aufgeschlossenheit ist mittlerweile nur noch so semi vorhanden, aber psst! In diesem Stadium hat man bereits genug Kontakte geknüpft und kriegt ohnehin so viele Anfragen von Hinz und Kunz, dass gar kein wirklicher Bedarf mehr an kreativen, neuen Partner*innen besteht. Das Boot ist voll. Als kleiner, kreativer Stift bleibst du also ab jetzt bitte draußen.
Stadium 3: „Too big to care.“
In diesem Stadium ist man als Institution bereits so etabliert, dass der Laden einfach läuft. Man hat ein festes Netzwerk, jeder hat seinen Platz, der Rubel rollt, die Gäste sind zufrieden mit dem Angebot, das darf auf keinen Fall durch irgendwelche kreativen Experimente aufs Spiel gesetzt werden. Die oberste Priorität ist jetzt sein eigenes Fortbestehen zu erhalten. Insofern werden Kollaborationen – wenn überhaupt – nur noch mit renommierten/bekannten Künstler*innen angestrebt, die einen noch weiter bringen als man es allein schaffen würde. Die eigenen Interessen sind spätestens jetzt das höchste Gut. Potenzielle Kooperationspartner*innen sollten nun also entweder Reichweite, Renommee oder Geld (am besten natürlich alles drei) mitbringen, damit sich die Zusammenarbeit auch wirklich lohnt. „No Names“ sind raus. Wer hat denn da noch Zeit, auf entsprechende E-Mails von irgendwelchen kleinen Künstler*innen zu antworten?
Lustigerweise lassen sich diese drei Stadien auch auf so gut wie jedes profitorientierte (wirtschaftliche) Unternehmen übertragen. Sobald die eigene Findungsphase vorbei ist und man „Fuß gefasst“ hat, ist Kollaboration nur noch eine leere Worthülse, die sich für Marketingzwecke eignet, um ein offenes und integres Image zu wahren. Mehr nicht.
Oberste Priorität hat dann meist nur noch die Risikominimierung und eigene Selbsterhaltung. Und sorry, aber neue Künstler*innen scheinen da leider eine Bedrohung für den Stand darzustellen, den sich solche Organisationen mühselig in Stadium 1–2 erarbeitet haben.
Ganz gleich, ob ich mir Festivals, Kulturbühnen, Eventlocations oder gar Künstlerkonglomerate anschaue. Die drei obigen Stadien lassen sich überall beobachten. Sobald die Hütte ein bisschen größer wird, verwaschen die ursprünglichen Werte. Das ist für uns Kreative, die wir laufend auf der Suche nach Anknüpfungspunkten sind, natürlich ziemlich ernüchternd.
Wir rennen konstant vorrangig vor verschlossene Türen. Es sei denn wir haben mal das Glück und erwischen jemanden in Stadium 1, was erfahrungsgemäß nicht sonderlich oft vorkommt.
Das Einzige, was uns übrig bleibt, ist es, die rar gesäten Ausnahmen zu finden, die sich noch einen Restbestand an ethischen Werten bewahren konnten. Die Nadeln im Heuhaufen quasi.
Lasst euch also nicht von warmen Worten und einem hübschen Webauftritt täuschen. Hinter die geschönte Fassaden lässt sich am ehesten blicken, wenn ihr direkten Kontakt aufnehmt. Die Reaktion (oder Nichtreaktion) spricht in der Regel Bände.
Über die Zeit habe ich mir angewöhnt, solche Kontaktaufnahmen als Filter zu betrachten. Je nachdem wie die Antwort ausfällt, kann ich schon viel über eine potenziell weitere Zusammenarbeit sagen. Oder diese gleich ausschließen. 😛
Positiv überrascht bin ich immer, wenn ich hin und wieder eine freundliche Rückantwort erhalte. Und wenn dann auch noch jemand einmal ein (virtuelles) Kennenlernen vorschlägt, sich die Zeit nimmt, auf meine Webseite zu schauen und Interesse an meinen Themen zeigt, dann ist das schon fast ein Sechser im Lotto. All diesen Menschen möchte ich sagen: Danke, ihr seid diejenigen, die verstanden habt, was Netzwerken bedeutet und wie wichtig Beziehungen für uns Kreative sind. Das ist zumindest schon mal eine Basis, mit der sich arbeiten lässt.
Alle anderen mit ihren leeren Phrasen kann ich nicht wirklich ernst nehmen. Wer sich zu fein ist auf Kooperationsanfragen zu antworten, der hat sich in meinen Augen als potenzielle Projektpartnerschaft disqualifiziert, ganz gleich, wie „groß“ er oder sie sein mag.
Ähnlich halte ich es übrigens auch mit Bewerbungen für Jobangebote oder Ausschreibungen. Wenn ein Unternehmen weder den Anstand noch die Notwendigkeit sieht, potenziellen Bewerber*innen eine kurze Rückmeldung zu geben, dann läuft gewaltig was schief.
Und dann sind da noch die Rückmeldungen, die nur dazu da sind einen abzuwimmeln. Ich habe da schon die kuriosesten Abwehrmechanismen erlebt. Auf Platz 1 meiner liebsten Körbe: „Danke für deine Bewerbung, aber…“ – Schon lustig, eine Netzwerkanfrage als Bewerbung auszulegen. Sag mir, dass du auf einem hohen Ross sitzt, ohne mir zu sagen, dass du auf einem hohen Ross sitzt.
Dicht gefolgt auf Platz Nr. 2 „Was erhoffst du dir von deiner Netzwerkanfrage?“. Eine Frage, wunderbar. Fragen sind immer gut, wenn man eine Nachricht nur halbherzig überflogen hat und sich nicht weiter damit beschäftigen möchte. Einfach mal den Ball zurückwerfen. Klappt immer.
Und last but not least, Nr. 3: weitergereicht werden. „Danke, dass du uns anschreibst, meld dich doch aber lieber bei XYZ.“ – Auch eine nette Art und Weise zu sagen „Kein Interesse, such dein Glück woanders.“ Na ja, immerhin ehrlich.
Und die Moral von der Geschicht‘:
Kreative lassen sich viel zu oft viel zu viel gefallen. Umstände ändern sich erst, wenn man eigene Grenzen absteckt. In dem Sinne, lasst euch nicht abwimmeln, fordert euch die Aufmerksamkeit ein, die euch gebührt. Und wenn ihr diese nicht bekommt, zieht weiter. Ihr seid es wert, dass euch auf Augenhöhe begegnet wird.
Es heißt nicht umsonst Geschäftsbeziehung. Unterm Strich geht es beruflich für uns Selbstständige immer um Beziehungen mit Menschen. Und je besser wir darin sind, diese Beziehungen zu gestalten (Stichworte: Kommunikation, soziale Interaktion), desto besser.
PS: Bevor du gehst…
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