"Kann man von Kunst leben?" - das Konstrukt vom brotlosen Künstler (und wie du lernst damit umzugehen)

Artista | Maria Chiariello

14. Mai 2024

Kaum eine Frage nervt Künstler*innen so sehr wie „Kann man denn davon [von der Kunst] leben?“ wenn sie ihren Beruf nennen. Was im Kopf des Gegenübers häufig mitschwingt, ist offensichtlich das Bild vom armen, brotlosen Künstler, der zum Scheitern verdammt ist. Doch was ist da dran? 

Und vor allem, was kannst du tun, damit solche Fragen dich in Zukunft kaltlassen? 

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"Die Kunst geht nach Brot!" | Bild: Kilian Seiler

Ich kenne nicht einen einzigen Künstler, der nicht nach Nennung seiner Profession mit der Frage „Kannst du davon leben?“ konfrontiert worden wäre. 

Und nicht einen, der auf Anhieb eine schlagfertige Antwort auf den Lippen gehabt hätte. Viel mehr trifft diese Frage Künstler*innen (gerade am Anfang) wie ein Baseballschläger mitten ins Gesicht. 

Das Gute (oder Schlechte? Wie man’s nimmt…) ist, dass du als Künstler*in immer wieder mit dieser Frage konfrontiert werden wirst, d.h. der Überraschungsmoment fällt irgendwann weg. Du weißt dann einfach, dass der Baseballschläger kommen wird, sobald du sagst, was du beruflich machst. 

Du kannst dich also vorbereiten. 😉

Herkunft & Hintergrund „brotlose Kunst“

Wusstest du, dass es sogar einen Wikipedia-Eintrag zum Spruch „brotlose Kunst“ gibt?

Ich zitiere einen wichtigen Satz daraus: „All dem zugrunde liegt die sich über die Jahrhunderte ziehende Kluft zwischen der Kunst als Ausdrucksform des Schönen, die ihre Rechtfertigung in sich findet, und dem Kunstbegriff, der seine Motivation auch aus der Sicherung des Lebensunterhalts eines Künstlers bezieht.“ (Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Brotlose_Kunst)

Es geht mir hier aber nicht darum, den geschichtlichen Hintergrund dieses Spruchs zu erörtern, sondern vielmehr darum, dich darin zu ermutigen, genauer über diesen Satz nachzudenken.

Denn wenn dich das Thema nicht vollkommen kaltlässt, dann solltest du unbedingt eine Strategie entwickeln, wie du damit klarkommen kannst. Denn eins steht fest: Sprüche dieser Art verschwinden nicht einfach. Die Menschen in deinem Umfeld hören leider nicht von heute auf morgen damit auf so zu denken.

Ein festgefahrenes Konstrukt

Das Bild des „brotlosen Künstlers“ ist ein Konstrukt. Es ist ein Stereotyp, an den viele Menschen glauben, weil er in unserer Gesellschaft immer und immer wieder bestätigt wird.

Schauen wir in die Geschichte: meist ist vom armen Künstler die Rede, der zwar seinen Träumen nachging, aber oftmals kaum über die Runden kam. Wenn Künstler überhaupt bekannt wurden, dann oft posthum. Der arme Rembrandt, Mozart, Vivaldi, Kafka und Van Gogh. Das sind die Beispiele, welche wir bereits in der Schule kennenlernen. 

Wenn irgendwo von Kunst gesprochen oder geschrieben wird, dann fällt früher oder später der Satz, dass es hart sei, von Kunst zu leben. Selbst Künstler*innen tragen unbewusst ihren Teil dazu bei. Ein solcher Satz („es ist hart von Kunst zu leben“) mag vielleicht anders gemeint sein und Herausforderungen im Allgemeinen meinen, aber beim Rezipienten – der in den meisten Fällen nichts von Kunst versteht – kommt nur eins rüber: dieser Künstler kommt nur schwer über die Runden. Wo wir wieder beim „brotlosen Künstler“ wären.

Die Medien zeichnen häufig ebenfalls kein differenziertes Bild. Auf der einen Seite sind da berühmten Künstler, Schauspieler und Musiker, die ein internationales Konzert nach dem nächsten spielen und von Fans umjubelt werden. Auf der anderen Seite werden in Dokumentationen immer wieder die präkeren Arbeitsbedingungen in der Kunst- und Kulturlandschaft betont. Die Rede ist dann von „Kleinkünstlern“, die zusätzlich einem „Brotjob“ nachgehen müssen, weil sie davon allein nicht leben können. Auch das Internet ist voll von diesen Beiträgen.

Wenn nun jemand auf einen Künstler trifft, vermutet er, dass dieser zur ersten Kategorie (reich, berühmt) oder zur zweiten Kategorie („armer Schlucker“) gehört? 

Diskrepanz zwischen weltbekannten und unbekannten Künstlern

Viele Menschen können sich nicht vorstellen, dass sie jemals auf einen prominenten Künstler treffen würden. Bekannte „Stars“ scheinen für Viele so weit weg, dass ihr Ruhm für Normalsterbliche einfach unerreichbar sein m-u-s-s. 

An dieser Stelle sage ich nur „The sky is the limit!“ 

Wenn wir die Grenzen in unserem Kopf überwinden können, dann erst sind wir imstande alle Möglichkeiten zu sehen und auszuschöpfen. So viele Dinge im Leben scheitern, nicht weil sie schlecht waren, sondern weil sie nie versucht wurden.
Es gibt so viele verschiedene Künstler. Die Bandbreite reicht vom reichen VIP bis zum Hobbykünstler. 

Das „dazwischen“ ist eine riesige Palette an den verschiedensten Formen und natürlich auch Gehaltsklassen. Übrigens so wie in jeder anderen Branche auch. Gerade wenn wir die „kommerzialisierte Kunst“ bzw. Berufskunst betrachten. Die Medien stürzen sich aber häufig auf die Ausreißer und zeichnen nur selten dieses facettenreiche Bild von der künstlerischen Profession. 

Wenn ich mir eins diesbezüglich etwas wünschen dürfte, dann dass nicht mit zweierlei Maß gemessen wird, sondern dass vom Star- bis zum Hobbykünstler alle gleichwertig respektiert und anerkannt werden.  

Verständnis von Kunst 

Es ist schlichtes Unwissen, welches Menschen zu dem Glauben an den „brotlosen Künstler“ bringt.
Die meisten Menschen haben keine Vorstellung davon, welche Bedeutung Kunst hat. Und dabei spreche ich nicht nur davon, was diese Kunst dem Künstler bedeutet, sondern meine die Bedeutung, welche Kunst für unsere Gesellschaft hat.

Die Geringschätzung, welche sich hinter dem Bild des „brotlosen Künstlers“ verbirgt, ist meines Erachtens ein Symptom für das Selbstverständnis einer verfügbaren Kulturlandschaft. Wir – als Gesellschaft – erachten die Kultur mit all ihren bunten Akteuren als selbstverständlich. Kunst ist so allgegenwärtig, dass sie schon wieder unsichtbar geworden ist für den Menschen, der sie täglich genießen kann.

Die Corona-Pandemie gab diesbezüglich immerhin einen kleinen Einblick, wie es ist, wenn diese Kunst und Kultur plötzlich nicht mehr verfügbar ist. Ich habe die Hoffnung, dass zumindest der ein oder andere nun ein bisschen mehr Wertschätzung aufbringen kann.

Das Verhältnis zu Geld

Künstler haben häufig kein Problem damit zum Ausdruck zu bringen, dass sie kein Vermögen verdienen. Das hat damit zu tun, dass ihr Verhältnis zu Geld sich von der weitverbreiteten kapitalistischen Betrachtungsweise unterscheidet.
Anders könnte ich auch sagen, dass Künstler einen sehr bodenständigen und gesunden Bezug zu Geld haben. Gerade weil es ihnen häufig nicht so wichtig ist und ihre Priorität auf der Sache (= Künstlerdasein) liegt.

Geld mit Kunst zu verdienen, ist somit ein netter Nebeneffekt für viele Künstler*innen. In diesem Kontext hast du vielleicht schon einmal den Satz „ich arbeite nicht für Geld“ gehört. Natürlich lässt sich dieser diskutieren. Du kannst auch komplett anderer Meinung sein. 

Doch viele Künstler drücken mit diesem Satz aus, dass ihre Motivation morgens aufzustehen und ihrem künstlerischen Schaffen nachzugehen, nicht darin besteht, möglichst viel Geld anzuhäufen und/oder sich tolle Dinge davon leisten zu können. Vielmehr besteht ihre Motivation darin, Menschen etwas geben zu wollen. Einen Gedanken, ein Gefühl, einen Impuls, Inspiration oder oder oder.

Die intrinsische Motivation

Diese Motivationen sind vielfältig und für jeden Künstler individuell. Mit Sicherheit gibt es auch Künstler, die ihre Finanzen sehr genau im Blick haben und/oder danach streben sich mit ihrer Kunst ein Vermögen anzuhäufen. Wir erinnern uns: die Bandbreite ist groß. Und das Eine (Prio: Kunst) schließt das Andere (Geld damit verdienen) nicht aus.

Würde man einem profitorientierten Künstler „brotlose Kunst“ vorwerfen?Vermutlich nicht. Vor allem dann nicht, wenn sein Verhältnis zu Geld dem eigenen ähnelt.

In einer Welt, in der Erfolg nur an wirtschaftlichen Verhältnissen gemessen wird, ist es extrem schwer die- oder derjenige zu sein, der weniger auf dem Konto hat und keinen Wert auf Statussymbole legt.

Denn wenn der einzige Parameter für Erfolg viel Geld ist, welches über diverse Statussymbole zur Schau gestellt wird, dann wirst du immer der brotlose Künstler für dein Gegenüber bleiben. Dabei spielt es gar keine Rolle, wie erfolgreich und frei du in allen anderen Bereichen sein magst. Viele Menschen leben nach dem Prinzip: „Was du nicht zeigst, hast du nicht.“ 

Was ist Erfolg?

Erfolg ist eine persönliche Definitionsfrage. Doch gesellschaftlicher Status Quo ist auch, dass Erfolg mit einem bestimmten „Lebensstandard“ einhergeht.

Das äußert sich dann in Aussagen, welche wie folgt aussehen können:

  • Du musst doch abgesichert sein!
  • Davon kannst du doch auf gar keinen Fall leben!
  • Wie willst du dir denn XYZ leisten können?
  • Von irgendwas musst du doch leben!

Und die logische Schlussfolgerung von Menschen mit diesen Denkmustern ist, dass du einen „ordentlichen Job“ brauchst, damit du dir deine Brötchen und noch mehr leisten kannst. Dabei rückt vollkommen in den Hintergrund, was für eine Art von Job dies sein soll. Am besten einer, der möglichst viel Geld bringt. Vollkommen egal, was für ein Job. Die Priorität (deines Gegenübers) liegt schließlich darin, Geld zu verdienen, um den Lebensunterhalt finanzieren zu können und sich schöne Dinge leisten zu können (Stichwort: Konsum, Bedürfnisbefriedigung).

Verständnislosigkeit treibt Künstler in den Wahnsinn

Als Mensch, der sich wahrscheinlich aus materiellen Dingen nichts macht und seine Zeit lieber mit erfüllenden Tätigkeiten (Kunst) verbringen möchte, rollen sich dir natürlich wahrscheinlich spätestens hier die Zehennägel. Logisch. Dieses Unverständnis ist nur schwer zu ertragen. Vor allem, wenn es auch noch aus den Reihen kommt, die dir wichtig sind.

Es bringt Künstler*innen regelmäßig an den Rand der Verzweiflung, wenn sie von ihrem Umfeld statt Halt und Bestärkung nur Verständnislosigkeit, Geringschätzung und (indirekte oder direkte) Ablehnung erfahren.

Solche Erfahrungen sind extrem schmerzhaft und das Schlimme: auf Dauer machen sie kreative Menschen kaputt. Viele Zweifel und Unsicherheiten resultieren nicht aus den eigenen Unzulänglichkeiten, sondern sind die Grenzen (Limitierungen) von außen. Aussagen, wie oben beschrieben, werden zu Denkmustern und Glaubenssätzen. Sie boykottieren das eigene Schaffen und Sein.

Gerade Künstler*innen definieren sich mit und über ihre Kunst. Wenn jemand diese belächelt, dann trifft es sie doppelt. Nicht selten wird die komplette Persönlichkeit hinterfragt. Im schlimmsten Fall glauben die Künstler dann selbst, dass sie unfähig seien etwas zu erreichen und dem Titel der „brotlosen Künstler“ damit gerecht würden. Was für eine furchtbarer Annahme! 

Vergiss die Meinung anderer und entwickle deine eigene Haltung

Spätestens hier solltest du dir folgende Frage stellen:
Will ich meinen Weg wirklich von der Meinung anderer abhängig machen?

Gerade deshalb ist es so wichtig, sich intensiv damit auseinanderzusetzen und für sich persönlich folgendes aufzudröseln:

  • Wo stehe ich aktuell?
  • Was glaube ich selbst?
  • Wieso „triggert“ mich die Thematik?
  • Was genau stört mich an solchen Aussagen? Und warum?
  • Wo sind meine Schmerzpunkte?

Im zweiten Schritt kannst du dann eine Strategie entwickeln, wie du besser mit solchen Aussagen klarkommst. Ein sachlicher, unaufgeregter Umgang wird dir helfen, dich nicht verunsichern zu lassen.

Die emotionale Keule

Das Bild des “brotlosen Künstlers” ist ein Ressentiment. Es ist meist emotional aufgeladen.
Menschen, die solche Aussagen von sich geben sind entweder unwissend, geringschätzend, ignorant und/oder haben in den meisten Fällen genug eigene Baustellen, welche sie vielleicht sogar ursächlich zu solchen Aussagen bringen.

 Vielleicht blicken sie auf eigene geplatzte Träume oder unerfüllte Wünsche zurück, welche sie dazu bringen deine Wünsche sabotieren zu wollen. Ich sage gar nicht, dass dies bewusst geschehen muss. Möglicherweise ist dies auch einfach nur eine unbewusste Geschichte. (Ich lasse das bewusst als Theorie stehen).

Manchmal kommen solche Aussagen sogar von Menschen, die uns sehr nah stehen. In einem “mach doch lieber etwas Ordentliches, statt Kunst” kann auch Besorgnis stecken. Die Aussage spiegelt (wenn auch unelegant ausgedrückt) den Wunsch des Gegenübers wider, dich abgesichert zu sehen. Das ist nicht böse gemeint. Es ist eindimensional. Denn das Gegenüber setzt seine eigenen Maßstäbe an. Es geht von seiner eigenen Vorstellung von Absicherung und Sicherheit aus. Und damit wird es übergriffig. Denn deine eigenen Wertvorstellungen finden in dieser Vorstellung keinerlei Beachtung. Du wirst aus deinem eigenen Lebensmodell ausgeklammert bzw. stehst allein damit. Das ist natürlich erstmal ein harter Brocken.

Leider haben Menschen in emotionalen Diskussionen die Eigenart, dass sie ihre Fähigkeit verlieren sachlich und logisch an Tatsachen heranzugehen. Statt sich in Toleranz und Verständnis zu üben, möchten sie lieber ihre eigene Realität bestätigt sehen. Reptilienhirn lässt grüßen… 

Fazit: Deine Einstellung ist entscheidend 

Den Kampf gegen emotionale, festgefahrene Denkmuster wirst du selten gewinnen können. 
Du wirst die Tatsache nicht ändern können, dass es Menschen gibt, die Kunst für eine brotlose Profession halten.

Aber wie bei so vielem im Leben gilt: du kannst dich und deine Einstellung zu dieser Sache ändern. Du kannst daran arbeiten, die Sache nicht mehr zu nah an dich heranzulassen, damit sie dich nicht mehr verletzen kann.

Ich hoffe, dass ich mit diesem Artikel zumindest einen kleinen Impuls dafür setzen konnte.

Und wenn du immer noch nicht genug hast und dich interessiert, wie andere Künstler den „brotlosen Künstler“ hinter sich gelassen haben, dann lege ich dir den Beitrag meiner besseren Hälfte dazu ans Herz. 
Als Musiker hat er einen ganz eigenen Blickwinkel zu dieser Thematik entwickelt. 

Du findest seinen Artikel hier:  Das widersprüchliche Argument des brotlosen Künstlers

Solltest du Fragen haben, dann melde dich gern. 

Diesen Artikel veröffentlichte ich in abgewandelter Form bereits am 17. August 2022 auf meiner Webseite www.maria-chiariello.de. 

Artista

Artista | Maria Chiariello

Ich bin Berufskünstlerin und Mentorin. Hier schreibe ich über künstlerisch-kreatives Potenzial in beruflichen Kontexten. Ich freue mich, wenn ich inspirieren kann.

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