Bevor du voreilig und entrüstet „na klar, arbeite ich!“ denkst, lass mich noch ein bisschen mehr ins Detail gehen. Ich weiß sehr gut wie es ist sehr viel zu arbeiten und ziemlich wenig zu schaffen. Fragst du dich manchmal am Ende eines Arbeitstages, was du eigentlich den ganzen Tag gemacht hast? Warum es schon so spät ist und du gefühlt noch nichts Nennenswertes geschafft hast, obwohl du den ganzen Tag machst und tust?
Hast du jemals gedacht „irgendwie komme ich nicht wirklich voran“, und das, obwohl du jeden Tag Überstunden schiebst oder seit Monaten keinen einzigen Tag frei machst? Kommt dir das als Selbstständige*r bekannt vor?
Dann lies’ den Titel dieses Artikels bitte noch einmal. Und sei mit der Antwort ehrlich zu dir selbst.
Es ist schon eine Weile her, als ich das erste Mal von Prokrastination gehört habe. Umgangssprachlich als „Aufschieberitis“ bekannt, ist das Phänomen allerdings toxischer als ich mir lange eingestehen wollte. Ich habe es immer als fehlende Motivation und Kreativblockade, als so eine Art „Künstlerding“ abgetan, aber mit der Zeit durfte ich feststellen, dass die Tragweite dessen weitaus größer ist und vielen (kreativen) Menschen und Selbstständigen zu schaffen macht.
Prokrastination kann eine echte Herausforderung werden und einen langfristig am Erfolg hindern. Doch glücklicherweise gibt es einen Weg aus dem Teufelskreis.
Unter Prokrastination versteht man das Verhalten, bei dem man Dinge, die man eigentlich tun sollte (und möchte), immer wieder auf später verschiebt.
Das wäre womöglich halb so wild, wenn es sich bei den Dingen um Belanglosigkeiten handle und/oder man zumindest später auf diese Dinge zurückkäme. Doch Prokrastination kann langwierig sein.
Was ist, wenn du selbstständig bist und z.B. deine Kundenakquise immer wieder vor dir herschiebst? Oder das Beantworten von Anfragen? In einer solchen Situation kannst du dir das Aufschieben im wahrsten Sinne des Wortes nicht leisten und du wirst die Konsequenzen dessen bitterlich zu spüren bekommen. Natürlich sind das nun sehr pauschale, einfache Beispiele. Prokrastination ist weitaus komplexer als das.
An mir selbst habe ich über die Zeit beobachtet, dass sich Arbeit als Prokrastination einsetzen lässt, z.B. in dem man weniger wichtige Tätigkeiten anstelle von wirklich wichtigen Tätigkeiten durchführt und sich selbst „austrickst“. Eine klassische Vermeidungstaktik.
Es gibt grob gesehen vier Gründe, weshalb wir Dinge, die wir tun müssten, vor uns herschieben:
Mangelnde Motivation, Überforderung, Perfektionismus und Angst.
Jedem dieser Gründe möchte ich mich im Detail widmen.
Manchmal fehlt einfach die Motivation, eine bestimmte Aufgabe anzugehen. Hinter fehlender Motivation verbirgt sich bei mir z.B. häufig auch ein unklares oder nicht vorhandenes Ziel. Wenn ich nicht weiß, wieso ich etwas machen sollte, dann fällt es mir extrem schwer, mich zu motivieren. Ich bin ein Mensch, der den Sinn jeder Handlung 10fach hinterfragt.
Wenn der Grund für mangelnde Motivation in einer unklaren Zielsetzung liegt, dann kann es helfen, sich den konkreten Nutzen einer Aufgabe vor Augen zu führen. Wenn Klarheit darüber herrscht, wofür wir etwas tun, dann fällt es uns leichter uns aufzuraffen. „Wieso mach’ ich das hier überhaupt?“, ist die entscheidende Frage, die wir unbedingt klären müssen.
Liegt der Grund für fehlende Motivation hingegen an einfacher Trägheit, dann sollten wir dem inneren Schweinehund trotzen, in dem wir einfach an irgendeiner Stelle der bevorstehenden Aufgabe anfangen. Meist stellt sich während des Tuns die Motivation schnell ein und trägt uns durch den weiteren Prozess.
Denn auch wenn wir die Illusion haben, dass Motivation etwas ist, was von außen kommt oder wir „in Stimmung“ für irgendetwas sein müssen, so ist das eine falsche Annahme. Motivation lässt sich einzig durch Tun herstellen. Wenn wir uns also überwinden können, mit der aufgeschobenen Aufgabe zu beginnen, dann haben wir gute Chancen, dass sich die Motivation einstellen wird.
Hast du eine ellenlange To-do-Liste mit x verschiedenen Dingen, die alle irgendwie wichtig sind und die du am besten alle nach und nach abarbeiten müsstest? Kein Wunder, dass du vollkommen überfordert bist und deshalb prokrastinierst! In diesem Fall zeigt sich eindrücklich, dass du dir vor dem Berg an Arbeit, den du selbst vor dir aufgetürmt hast, einfach sehr klein vorkommst. Du bist eingeschüchtert und weißt daher gar nicht mehr, wo du überhaupt anfangen sollst. Darin bin ich Meisterin! 😉
Aus diesem Grund z.B. führt mein Partner (Berufsmusiker, ebenfalls selbstständig) keine To-do-Listen mehr. Er hat lediglich einen groben Plan mit wichtigen Eckpunkten, aber er weigert sich eine Liste anzufertigen, die ihm nur aufzeigen würde, was noch alles unerledigt ist.
Greg McKeown schreibt in seinem Buch „Essentialism“ folgendes: „Focus on fewer tasks to get more work done.“ (dt. = Konzentriere dich auf weniger Aufgaben, um mehr zu schaffen). Ein Tipp, den viele Produktivitätsexperten geben. Wenn du also eine To-do-Liste hast, dann schau dir diese noch einmal ganz genau an und streich‘ alles, was nicht essenziell ist. Du musst priorisieren und deine zu erledigenden Aufgaben auf eine moderate Zahl herunterschrauben. McKeown schlägt maximal 5 Dinge vor, die auf deiner Agenda stehen sollten, damit du eine realistische Chance hast, diese auch wirklich abzuarbeiten.
Ebenfalls eine gängige Methode, um den Druck aus „großen“, überwältigenden Aufgaben herauszunehmen, ist es, diese in kleinere Etappen aufzuteilen und dann schrittweise abzuarbeiten. Anstatt z.B. tagelang an einer neuen Webseite zu bauen, könntest du auch einfach jeden Tag 20 min. daran arbeiten. Vergiss nicht, deine Erfolge zu feiern, auch wenn sie noch so klein sind. Sei dankbar dir selbst gegenüber, wenn du eine Teil-Aufgabe (Etappe) geschafft hast. Belohn dich mit einer Kleinigkeit. Wichtig ist, dass der Berg an Arbeit seinen Schrecken verliert und du es schaffst kontinuierlich deine wichtigsten Dinge abzuarbeiten.
Nur am Rande:
Ich hab sehr lange ergebnisorientiert gearbeitet. Stets mit dem Fokus auf das „fertige“ Ergebnis, aber in kreativen Prozessen ist ein Ergebnis nur flüchtig. Ehe wir uns versehen, ist das Ergebnis Geschichte und wir fangen wieder von vorne an. Alles, was uns also bleibt und dauerhaft begleitet, ist der Schaffensprozess. Den sinnvollsten Tipp, den ich dir dafür geben kann: Sieh zu, dass dir dieser Prozess Freude bereitet. Wenn du dich immer nur durch den Prozess quälst, weil du einzig das Ergebnis für wichtig erachtest, dann wirst du nie dauerhaft dranbleiben können und immer wieder ins Muster der Prokrastination verfallen. Gerade im kreativen Bereich ist das ein Thema.
Aus Erfahrung kann ich dir sagen, Perfektionismus ist Gift für deine kreative und berufliche Weiterentwicklung. Obwohl es paradox klingt, sind es letztlich die eigenen, hohen Ansprüche, die einem am Weiterkommen hindern. Denn obgleich man konstant danach strebt besser zu sein, hat man durchweg das Gefühl nicht gut genug zu sein. Perfektionismus ist geprägt von Leistungsorientierung und Schwarz-Weiß-Denken (Perfektion vs. Scheitern). Am Ende führt das in eine Sackgasse. Es ist also wenig verwunderlich, dass Perfektionist*innen prokrastinieren, weil sie unter ihren eigenen Ansprüchen einbrechen und/oder gefangen sind im Glauben daran, nie gut genug zu sein. Seien wir ehrlich: das lässt sich ad absurdum treiben.
Was Perfektionist*innen irgendwann in ihren sturen Schädel hineinbekommen müssen, ist, dass Fehler unvermeidlich sind und letztlich genauso wichtig für die Weiterentwicklung sind, wie auch Erfolge. Fehler sind Lehrmeister. Sie zeigen dir auf, was du beim nächsten Mal besser machen kannst. Das Streben nach Perfektion ist eine Illusion – ich bin mir sicher, dass es da draußen nicht einen einzigen Menschen gibt, der von sich sagen würde, dass er perfekt ist. Warum das Streben nach Perfektion nicht einfach als Motivator verstehen, welcher uns positiv antreibt, der aber nicht auf Zwang aufbaut? Um Perfektionismus zu überwinden, müssen wir lernen, freundlich und geduldig mit uns selbst zu sein. Wir müssen aufhören, hart und streng zu uns zu sein, sondern sollten uns in Selbstakzeptanz und Achtsamkeit üben. Wir sind nicht perfekt, werden es nie sein und das ist in Ordnung so. Wir genügen. Zur Not, müssen wir uns das täglich aufs Neue sagen, bis wir es irgendwann selbst glauben (Stichwort: positive Affirmationen).
Es hilft zudem, sich die eigenen, kleinen Fortschritte regelmäßig vor Augen zu führen. Fang klein an und erwarte nicht zu viel auf einmal. Verhaltensmuster wie Perfektionismus oder Prokrastination zu überwinden, ist ein Prozess, der Zeit braucht. Wenn du einmal in alte Muster verfällst, dann ist das kein Weltuntergang. Es ist das Zeichen, dass du noch ein bisschen mehr Zeit brauchst. Gib nicht auf und bleib dir gegenüber fair. Und vor allem: verfalle bitte nicht gleich wieder in Selbstmitleid, wenn du einmal einen „Rückfall“ haben solltest. Das gehört zum Wachstumsprozess dazu. Weiterentwicklung ist wie eine Wendeltreppe: es geht ein paar Stufen nach oben und dann wieder nach unten, du wirst immer wieder an den gleichen, herausfordernden Stellen vorbeikommen.
Angst
Kommen wir zum schwerwiegendsten Grund der Prokrastination. Zum Endgegner quasi: die Angst (vor dem Misserfolg).
Wenn du Angst hast, dass du eine Aufgabe nicht gut genug erledigen kannst, dann führt das dazu, dass du sie lieber gar nicht erst beginnst. Vermeidung, wir hatten es oben schon.
Letztlich glaube ich, dass neben allen obigen Gründen Angst immer involviert ist und sich in Form von Selbstzweifeln und Unzufriedenheit bemerkbar macht. Das Schlimme ist, dass Angst uns blockiert und von den Dingen abhält, die wir erreichen wollen. Wenn du aus Angst vor dem Misserfolg konstant auf halber Kraft arbeitest und die nötigen, wichtigen Schritte meidest, dann büßt du damit Zeit und Möglichkeiten ein. Du hältst dich selbst klein.
Tim Ferriss sagt „Definiere nicht deine Ziele, definiere deine Ängste“ und damit trifft er den Nagel auf den Kopf. Ich verlinke an dieser Stelle einen wirklich hilfreichen Vortrag (mit Übung) von ihm dazu. Das hat mir eine ganz neue Perspektive gegeben.
Angst führte bei mir dazu, dass ich lange Jahre Tätigkeiten nachging, denen ich gar nicht nachgehen wollte, nur um mich vor den Dingen zu drücken, die ich unbedingt anpacken musste (und eigentlich auch sehnlichst wollte). Prokrastination kommt häufig getarnt. Deshalb ist sie so tückisch. Immer wenn wir uns vor einer wichtigen Aufgabe drücken, dann finden wir Dinge, die wir an dessen Stelle setzen: wir putzen, reparieren, werkeln, gärtnern, sortieren, misten aus, organisieren, recherchieren – wir machen irgendwas, wir arbeiten. 😉
So legitimieren wir vor uns und anderen, dass wir „produktiv“ sind, aber tief in unserem Inneren wissen wir, dass das nicht die ganze Wahrheit ist. Wir spüren, dass wir das eigentlich nur tun, um den Aufgaben aus dem Weg zu gehen, die uns ängstigen. Und das stresst uns.
„What we fear doing most is usually what we most need to do.“ (dt. Das, wovor wir Angst haben, ist das, was wir am ehesten tun müssen.) Es gibt leider keinen Weg drumherum. Am Ende führt unser Weg immer durch die Angst hindurch. Aber wir können es uns erträglicher machen, wenn wir eine andere Perspektive einnehmen. Das „Fear Setting“ (eine Übung) von Tim Ferriss ist ein erster, guter Schritt, um sich mit seinen Ängsten zu beschäftigen. Indem wir unsere Ängste z.B. konkret benennen und ihnen potenzielle Lösungen entgegensetzen, verlieren sie Stück für Stück ihre Bedrohlichkeit. Durch die kontrollierte, wiederholte Konfrontation mit unseren Ängsten können wir diese langsam überwinden und unseren sehnlichsten Wünschen näher kommen. Denn das Gemeine ist, dass unsere Ängste uns eben vor genau dem zurückhalten, was wir uns am meisten wünschen.
Steven Pressfield schreibt in seinem Buch „The War of Art“: “The more important a call or action to our soul’s evolution, the more Resistance we will feel toward pursuing it.” (dt. Je wichtiger ein Ruf oder eine Handlung für die Entwicklung unserer Seele ist, desto mehr Widerstand verspüren wir, ihr nachzugehen.) Das will ich gern so stehen lassen.
Fazit
Prokrastination ist ein komplexes Thema, das viele Menschen betrifft. Vor allem Künstler*innen, Kreative und Selbstständige leiden häufig unter den Folgen ihrer selbst verursachten „Aufschieberitis“. Durch Selbstreflexion und gezielte Strategien, die im Lösen der Ursachen liegen, kann Prokrastination jedoch überwunden werden. Hierbei ist es sehr wichtig, die eigenen Ängste zu erkennen und sich ihnen zu stellen. Zudem ist Selbstakzeptanz und -mitgefühl wichtig, um dauerhaft eine positive Veränderung zu bewirken. Wie alles ist auch das Überwinden von Prokrastination ein Prozess, der Zeit und Geduld erfordert. Doch es lohnt sich.
PS: Bevor du gehst…
Danke für’s Lesen! Wenn dir meine Artikel gefallen, dann abonniere doch einfach meinen Newsletter!
Mein Artikel war hilfreich und du findest, ich hab ein kleines Dankeschön verdient? Spendier mir einen Kaffee auf Ko-Fi.
Ich kann auch anders! Für mehr Rock’n’Roll und weniger Blabla, schau auf Patreon vorbei & und komm in den exklusivsten Backstagebereich!
Ich bin Berufskünstlerin und bewege mich an der Schnittstelle zwischen Kunst und Wirtschaft.
Vorwiegend beschäftige ich mich in meinen Texten mit künstlerisch-kreativem Potenzial in unternehmerischen Kontexten.
Schreib' mir eine Nachricht, wenn du Anknüpfpunkte siehst.