Als Künstler*in selbstständig: Reality Check - was die Selbstständigkeit bedeutet (Teil 2)

Artista | Maria Chiariello

10. Mai 2024

Wenn es um die Selbstständigkeit als Künstler geht, dann ranken sich darum einige Mythen. Daher wird es Zeit für einen Reality Check. Schauen wir uns in diesem zweiten Teil einmal das Leben eines selbstständigen Künstlers etwas genauer an…

In Wirklichkeit ist die Realität ganz anders | Bild: Emiliano Vittoriosi

Falls du den ersten Artikel Als Künstler selbstständig machen: die unternehmerische Seite (Teil 1) verpasst hast und vorher noch lesen möchtest, dann kannst du das jetzt tun. Andernfalls holst du das einfach nach. Im ersten Teil ging es um die rechtliche Seite der Selbstständigkeit mit ihrer Bürokratie und Formalia.

Zwischen Freiheit und Kommerz

Machen wir uns nichts vor. Wenn du beschließt, dich mit deiner Kunst selbstständig zu machen, bedeutet das, dass du damit in die Geschäftswelt eintrittst. Du wirst zum kreativen Selbstständigen (Einzelunternehmer), der künstlerische Werke und/oder Dienstleistungen verkauft.

Viele Künstler*innen starten mit der Illusion in die Selbstständigkeit, dass sie fortan nur noch ihrer Leidenschaft nachgehen und den ganzen Tag in ihrem Atelier mit dem Schaffen von Kunst verbringen werden. Das ist leider eine sehr naive und romantisierte Vorstellung.

80 % Selbstständigkeit und 20 % Kunst

In den meisten Fällen sieht das realistische Verhältnis zwischen Kunst machen und der unternehmerischen Seite der Kunst etwas anders aus. Als selbstständige*r Künstler*in bist du dein eigenes, kleines Unternehmen in einer Person. Es fallen alle Aufgaben – in minimierter Form – an, die in einem Unternehmen anfallen. Da du zu Beginn nicht über die Ressourcen verfügen wirst, um diese Aufgaben auszulagern, bedeutet das, dass zusätzlich zu deiner Kunst auch alle anderen anfallenden Aufgaben dazu kommen. Oder besser gesagt: den größten Teil deiner Arbeit ausmachen.

Konkret ein paar Beispiele aus meinem Alltag als darstellende Künstlerin (zzgl. Mentoring-Angebot): ich probe und erarbeite eigene Shows, ich habe mehrere Webseiten, die ich selbst aufgesetzt habe und pflege, ich schreibe regelmäßig Blogartikel, poste auf diversen Social Media Plattformen, d.h. ich kreiere die Inhalte (Foto-, Video-, Textbeiträge), ich mache meine Buchhaltung, schreibe Verträge, Rechnungen, besuche Netzwerktreffen, netzwerke online, telefoniere regelmäßig mit Kunden oder potenziellen Kunden, beantworte Anfragen, schreibe Mails etc.pp.

Den größten Teil meiner Arbeit nimmt die konstante Vermarktung ein, die aus mehreren Marketingstrategien besteht und sich fortlaufend ändert oder weiterentwickelt. Im Prinzip vergeht kein Tag, an dem ich nicht über irgendeine neue Sache nachdenke, die ich tun könnte, um hier und dort sichtbar zu werden. Je nach Idee bringt das wieder Arbeit mit sich (Flyer, Sticker, Werbemails, Pressemitteilungen, Künstlerportale etc.).

Und dabei habe ich mittlerweile das Glück, dass ich gute suchmaschinenoptimierte Webseiten habe und in gewissen Kreisen ein Begriff bin, sodass ich auch Anfragen erhalte, wenn ich mich nicht dahinterklemme…

Ich habe zu Beginn die Formel von 80 zu 20 für mich aufgestellt, als ich meine Alltagsaufgaben evaluiert habe. 80 % meiner Zeit verbringe ich recht „unkünstlerisch“ mit der unternehmerischen Seite, während sich +/- 20 % auf das Proben und künstlerische Herumexperimentieren beschränken. Ganz zum Schluss kommt dann eigentlich das, wofür ich das Ganze mache: der Bühnenauftritt. Je nachdem wie viele Bühnenauftritte das im Jahr sind, verschwinden diese also im einstelligen Prozentbereich.

Eine ernüchternde Bilanz, nicht wahr?

Ich hab mir über die Jahre erarbeitet, das Verhältnis zu Gunsten von mehr Kunst zu ändern und so effizient wie möglich zu arbeiten, um die unternehmerische Seite auf das Wesentliche zu beschränken. Ich denke, dass ich mittlerweile vielleicht bei einer Quote von 70 zu 30 bin, da ich die Prioritäten neu gesetzt habe. Womöglich schaffe ich irgendwann ein Verhältnis von 50 zu 50. Aber mehr wird – ohne das Auslagern von Aufgaben oder eine entsprechende Bekanntheit – nie drin sein.

Wenn du also irgendwann als Künstler*in den größten Teil deiner Zeit eher mit dem Fertigen von Kunst verbringen möchtest, dann brauchst du zwingend externe Hilfe in Form einer virtuellen Assistenz, Künstleragentur, Galerie oder Management. Sei dir aber dessen bewusst, dass du dies in Geld aufwiegen werden wirst. Alles, was du auslagerst, kostet dich Geld.

Letztlich tauschen wir als Selbstständige immer Zeit gegen Geld und/oder umgekehrt.

Es ist also ratsam, dich mit dem Gedanken anzufreunden, dass Selbstständigkeit als Künstler eben auch einen großen Businessteil bedeutet. Ich rate dir also, es, als etwas zu betrachten, was dazu gehört und ebenfalls erfüllend sein kann.

Fakt ist: du lernst nie aus. Du beschäftigst dich dadurch zwangsläufig immer wieder mit neuen Themen, für die es sonst keinerlei Anlass gäbe. Seien es z.B. die technischen Komponenten einer Webseite oder E-Mail, Datenschutzrichtlinien, Algorithmen, SEO oder oder. Als Selbstständige*r bist du immer am Puls der Zeit. Das musst du ein Stück weit sein, um nicht abgehängt zu werden. Sieh es als positive Herausforderung und einen Teil deiner Persönlichkeitsentwicklung.

Kreative Freiheit

Ich weiß, dass die Selbstständigkeit als Künstler*in für viele den Wunsch nach Selbstverwirklichung birgt. Du willst deine eigenen Ideen umsetzen und dich künstlerisch entwickeln, nach deinen eigenen Vorstellungen. Das ist vollkommen verständlich. Das geht mir auch so.

Ich hab über die Jahre viele Künstler*innen diese Leichtigkeit und Freiheit nach und nach verlieren sehen, daher möchte ich dazu ein paar Dinge anmerken:

Sobald du deine Kunst monetarisierst bzw. zum Geschäft machst, birgt das die Gefahr, dass du deine anfänglichen Werte irgendwann zulasten des Geldverdienens über Bord wirfst. Jeder Unternehmer wertet seine Verkäufe aus und zieht Konsequenzen, wenn der Umsatz zu Wünschen übrig lässt. Nehmen wir an, dass deine handgemachten Werke nicht so doll ankommen, dann wirst du überdenken, ob du diese noch weiter fertigst, oder ob du nicht vielleicht etwas machst, was mehr trendet und sich dadurch leichter verkaufen lässt. Und damit entfernst du dich Stück für Stück von deiner anfänglichen kreativen Freiheit, bis du dich letztlich in einem Bereich als Dienstleister*in wiederfindest, der nur noch Auftragsarbeiten anfertigt, weil die wenigstens gut gehen.

Das ist natürlich ein absolutes Worst-Case-Szenario, was ich hier aufmache. Aber ich möchte, dass die Idee herüberkommt.

Es ging mir mit der darstellenden Kunst vor einiger Zeit nicht anders. Aus anfänglich eigenen Charakteren und eigenen Geschichten wurde mit der Zeit das reine Abspielen eines „Unterhaltungsprogramms“ in einem Rahmen, der letztlich nie dafür vorgesehen war. Statt kleine Theaterbühnen und geschlossene Kleinkunstbühnen tingelten wir lange Zeit von einem Open Air-Fest zum nächsten. Orte, die von Laufpublikum und Ablenkungen geprägt sind. Von der anfänglichen Idee eines tiefgründigen Erlebnisses, auf das man sich einlassen müsse, war nicht mehr viel übrig. Also war es Zeit, die Reißleine zu ziehen und dieser Art von Veranstaltungen den Rücken zu kehren, auch wenn das bedeutet hat, diesen Teil des Einkommens damit auszuschlagen.
Die Frage ist immer: was ist dir wichtiger? Wo liegen deine Prioritäten?

Genauso wie ich viele Künstler*innen an dieser Thematik verzweifeln sah, habe ich auch selbstständige Künstler und Kunsthandwerker kennengelernt, die ihre Auftragskunst als einen reinen Job betrachten und keinerlei Problem damit haben als „Dienstleister“ wahrgenommen zu werden. Ihre eigene künstlerische Vision ist ihnen gar nicht so wichtig, weil sie den Wert eher auf die künstlerischen Fertigkeiten legen. Es ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich.

Kreative Freiheit ist als selbstständiger Künstler sehr wohl möglich, wird aber regelmäßig auf die Probe gestellt werden.

Unabhängigkeit & eigener Rhythmus

Aufstehen, wann ich will, arbeiten so lange ich will, kein Chef, der mich nervt oder mir mitteilt, was ich als Nächstes zu tun habe. Was dein Vorteil als selbstständige*r Künstler*in ist, ist gleichzeitig auch dein Nachteil.

Eine gute Organisationsfähigkeit und Struktur im Leben wird nötig sein, wenn du dich selbstständig machst. Unterschätze das nicht! Du wirst dich sonst nämlich wirklich in dem Schreckgespenst von „selbst und ständig“ wiederfinden, wenn du nicht aufpasst. Du wirst dich wundern, wie viel du arbeiten kannst, ohne etwas zu schaffen. Es gibt ja praktisch immer etwas zu tun und da deine Arbeit dich überall hin begleitet (in deinem Kopf), wirst du das auch tun. Gerade, wenn du motiviert und enthusiastisch bist.

Lies gern meinen Artikel über Produktivität, wenn du dich näher mit der Thematik beschäftigen möchtest.

Versteh mich an der Stelle bitte nicht falsch: im eigenen Rhythmus kreativ arbeiten zu können, ist wundervoll. Der größte Vorteil liegt hierbei darin, deine Arbeit deinen individuellen Vorlieben und Bedürfnissen anzupassen. Du musst dich nicht mit Projekten herumquälen, die dir keine Freude bereiten. Du kannst deine Zielgruppe selbst definieren und bei jedem Auftrag entscheiden, ob du diesen annehmen oder ablehnen willst.

Generell entscheidest du darüber, wie viel du arbeiten kannst und willst. Familie bzw. Kinder lassen sich z.B. womöglich besser vereinbaren als das mit einer 40 Std. Woche der Fall wäre. Eine Selbstständigkeit bietet dir grundsätzlich mehr Spielraum als eine Anstellung.

Selbstdefinition & Fremdwahrnehmung

Eine Sache, die ich in der Selbstständigkeit als Künstlerin irgendwann gelernt habe ist, dass du dich an der Schnittstelle zwischen Kunst & Wirtschaft bewegst. Du tänzelst mal in die eine und mal in die andere Richtung – und du führst ein Leben zwischen diesen Welten. Womöglich definierst du dich selbst als Künstler*in oder Kunsthandwerker*in und im Kontext deiner Kunst stimmt das auch.

Aber sobald du diesen Kontext verlässt und an den Ottonormalo herantrittst – und das tust du, wenn du deine Kunst verkaufst -, wirst du feststellen, dass du für diesen einen Soloselbstständigen/ Einzelunternehmer darstellst, der eben Kunst statt irgendwas anderes kauft. All dein Idealismus und die Dinge, die du mit Kunst verbindest, sind für Menschen mit fehlender Kunstaffinität eine Welt, die sie nicht begreifen können und/oder wollen. Das kann belastend und frustrierend sein. Denn letztlich streben wir alle nach Anerkennung und Verständnis. Als Künstler allerdings sehen wir uns regelmäßig mit der Frage nach dem Wert unserer Arbeit konfrontiert.

Nicht immer geschieht dies aktiv, sondern ist mehr eine Konsequenz subjektiver Wahrnehmung und fehlender Wertschätzung der Gesellschaft, eben weil man Kunst entweder für selbstverständlich hält und/oder nichts damit anfangen kann.

Das bringt häufig prekäre Arbeitsbedingungen und eine geringe finanzielle Vergütung für viele Künstler*innen mit, einfach weil ihre Arbeit massiv unterschätzt wird. Viele Künstler*innen tun sich keinen Gefallen, in dem sie dieses System auch noch dadurch unterstützen, dass sie sich unter Preis verkaufen. Kunst lässt sich nicht auf den reinen Warenwert reduzieren, wie dies bei vielen Produkten der Fall ist. Doch wir leben in einem System, was eben genau das tut. Wir sind durch den Markt gewöhnt, in der Kategorie von Produkt und Warenwert zu denken.

Der Wert eines Kunstwerks lässt sich auf eine solche Art und Weise nicht bewerten. Der Wert eines Kunstwerks oder einer künstlerischen Leistung wird bestimmt durch die Lebenszeit des Künstlers, seine ideelle Vision und die Entbehrungen, die er für dieses Werk bringen musste. Ein Musiker oder ein Darsteller, sollte z.B. auch seine vielen, vielen Proben und Ausbildungen mit in seine Honorare einfließen lassen.

Um ein Bewusstsein für all das zu bekommen, muss die Gesellschaft den Wert von Kunst als integralen Bestandteil des menschlichen Lebens zunächst einmal erkennen und verstehen, dass ein Künstler mehr leistet als das Schaffen von dekorativen Elementen oder Freizeitvergnügen.

Wenn du dich also mit Kunst selbstständig machst, sei dir dessen bewusst, dass dein Job auch darin bestehen wird, für den Wert von Kunst und Kultur einzustehen und diesen regelmäßig zu verteidigen. Du wirst viel aufklären und sensibilisieren müssen und immer wieder auf Unverständnis stoßen. Als Künstler wirst du immer eine Art Sonderling für die Gesellschaft sein – nimm dir das bloß nicht zu Herzen und mach definitiv nicht den Fehler, deine Selbstdefinition (und deinen Selbstwert) von den Aussagen der Gesellschaft abhängig zu machen.

Je schneller du nach außen hin ein Selbstverständnis deiner künstlerischen Arbeit und deiner Funktion als „Berufskünstler“ etablierst und ausstrahlst, desto besser. Ein dickes Fell wird dich davor schützen, dich immer wieder erklären oder rechtfertigen zu müssen. Das musst du nicht! Sei dir immer bewusst, dass du als Künstler ein wichtiger Teil unserer Gesellschaft bist, der einen wertvollen Beitrag leistet.

Fazit

Sich als Künstler*in selbstständig zu machen, bedeutet nicht nur kreative Freiheit und Flexibilität hinsichtlich der eigenen Arbeit, sondern auch Teil der Wirtschaft zu sein. Die Wirtschaft und das Geschäftssystem bringen ihre eigenen Regeln mit, in denen der Idealismus von Künstlern häufig keinen Platz findet. Es kann schwer sein, zwischen den Welten von Kunst und Business zu wandeln – auf der einen Seite Künstler*in und auf der anderen Seite Einzelunternehmer*in zu sein (und so zu denken).

Wie wir bereits im ersten Artikel sehen konnten, ist jede Selbstständigkeit individuell und kann sehr unterschiedlich aussehen. Der Erfolg hängt letztlich stark von verschiedenen Faktoren ab. Dabei spielt deine Persönlichkeit ebenso eine große Rolle, wie auch deine Einstellungen und Handlungen.

Eine große Herausforderung kann dabei auch die Gesellschaft darstellen. Der Ottonormalo ist dein potenzieller Kunde, auch wenn er selbst von Kunst nichts versteht. Das kann zermürbend sein.

Genauso wie die Erkenntnis, dass als Künstler*in selbstständig zu sein, nicht bedeutet, dass du den ganzen Tag mit kreativer Arbeit und dem Erarbeiten neuer Kunst verbringst, sondern der größte Teil deiner Arbeit aus unkreativen Aufgaben besteht, die notwendig sind, damit dein Geschäft weiter seinen Gang gehen kann.

Geschrieben habe ich das Ganze nicht, um dich zu verunsichern oder dir den Traum von der künstlerischen Selbstständigkeit zu nehmen, sondern um dir einen realistischen Einblick zu geben. Wenn du nach all dem sagst „das ist mir egal, ich will es trotzdem“, dann habe ich keinen Zweifel daran, dass du deine Sache gut machen wirst.

Letztlich ist eine Selbstständigkeit eben auch genau das: der Kampf gegen Widerstände und der Wille etwas Eigenes aufzubauen entgegen aller Hindernisse.

Und dabei wünsche ich dir alles erdenklich Gute!

Im dritten und letzten Artikel dieser Reihe soll es um die Frage nach der Vermarktung und Existenzsicherung gehen. Wir werfen einen Blick darauf, wie wir eine eigene Nische finden, zur Personenmarke werden und letztlich von unserer Kunst leben können.

Wenn du Fragen dazu hast oder Unterstützung benötigst, dann schreib mir gern eine Nachricht.

Artista | Maria Chiariello

Ich bin Berufskünstlerin und Mentorin. Hier schreibe ich über künstlerisch-kreatives Potenzial in beruflichen Kontexten. Ich freue mich, wenn ich inspirieren kann.

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