Wenn Kreative sich selbst ausbeuten & anderen damit den Freischein liefern

Artista | Maria Chiariello

27. April 2024

Für die Ausbeutung in der Kreativszene sind zu großen Teilen die Kreativen selbst verantwortlich. Klingt hart, ist aber so. Hier kommt wieso:

Ich bin als freischaffende Künstlerin und Kunstmentorin jetzt seit über 10 Jahren Teil der Kreativbranche. Und was ich da über die Zeit alles erlebt habe, schlägt dem Fass den Boden aus.

Es ist kein Geheimnis, dass in der Kunst- und Kulturlandschaft prekäre Zustände herrschen. Doch zu großen Teilen sind diese hausgemacht. Häufig sind es die Kreativen selbst, die sich über ihren eigenen Wert nicht bewusst sind und sich infolgedessen unter Preis verkaufen, Regeln geschäftlicher Zusammenarbeiten nicht kennen, missachten und/oder gar nicht erst ansetzen. Dadurch, dass keine Verträge aufgesetzt werden, fehlen Vertragskonditionen. Das wiederum ist ein Freifahrschein für Kunden und Käufer, die sich wiederum nicht an Absprachen halten, Honorare nachträglich herunter diskutieren oder gar nicht erst bezahlen. Zurück bleiben verprellte, verletzte Kreative, die ihr Leid – so traurig das nun sein mag – selbst verschuldet haben.

Doch nicht nur im Kleinen herrscht Ausbeutung. Diese reicht bis in institutionelle, übergeordnete Kreise, die statt sich für ihre „Schützlinge“ einzusetzen, diese für ihre Zwecke und Eigeninteressen instrumentalisieren. Mit „Open Calls“ wird immer wieder an Künstler*innen appelliert für ’nen Appel und ’nen Ei, Skizzen, Bilder oder Ideen einzureichen. Meist an die Bedingung geknüpft, all seine Rechte an die Institution abzutreten. Geht’s noch?

Es entzieht sich meinem Verstand, wie Grafiker*innen, Illustrator*innen o.ä. sich auf solche Rattenfänger einlassen können, mit dem Wissen, dass sie weder richtig entlohnt werden noch ihre Rechte am Werk behalten können. Sorry, aber das ist Selbstausbeutung. Denn niemand wird dazu gezwungen, an diesen dubiosen Ausschreibungen mitzuwirken. Aber der Kreative ist sich für nichts zu schade – und so nimmt dieser Mist nie ein Ende.

Das Perfide an institutionalisierten Kreisen ist oftmals, dass sie solche Ausschreibungen auch noch für ihre Lobbyarbeit nutzen und damit ihr Image aufpolieren. „Wie schön, da macht jemand was für die Künstler!“ Es schaut ja in der Regel niemand im Detail, was für eine Abzocke sich dahinter verbringt. Frei nach dem Motto „Na besser als gar nichts.“ – Ich sage: Nein, Danke!

Es ist leider – auch außerhalb von kreativen Kreisen – längst kein Geheimnis mehr, dass Künstler und Kreative nicht gerade für ihren Geschäftssinn bekannt sind. Zumindest ist das die landläufige Meinung. Und wenn ich das, was ich so alles mitbekommen habe, zusammennehme, dann wundert mich das auch nicht wirklich. Als Berufskünstlerin, mit Verträgen, Vertragskonditionen und einer unternehmerischen Mentalität, war ich nicht selten Exotin und wurde fast schon misstrauisch beäugt. Wie jetzt, eine Künstlerin mit Vertrag?

Ich kann mich an ein Gespräch mit einer Kulturdirektorin erinnern, die mir 10 Minuten lang erzählte, dass sie den Job als Bookerin nun schon seit 25 Jahren mache und noch nie eine Band erlebt habe, die einen Vertrag gemacht habe.

Na Prost, Mahlzeit. Meinen Vertrag unterschrieb sie trotzdem. Es gibt immer ein erstes Mal. 😉

Natürlich haben längst auch schon große Unternehmen und „Brands“ Wind davon gekriegt, dass sich die Kreativbranche gern ausbeuten lässt. Jeder weiß offensichtlich heutzutage – vom Dorfschenkenbetreiber bis zum Großkonzern – mach einen Contest, der sich an „kreative Köpfe“ richtet und du wirst dich vor Bewerbern nicht mehr retten können. Selbst wenn der „Gewinn“ aus einem 5 € Gutschein und ’nem Praktikumsplatz im Unternehmen besteht, egal, die Kreativen stürzen sich darauf. Warum zur Hölle? Seid ihr euch selbst nichts wert?

Das einzig sinnvolle wäre, dieses ganze Phishing for Creatives, getarnt in „Gewinnspielen“, „Contesten“, „Open Calls“ und „Wettbewerben“ schlichtweg zu boykottieren. Denn meistens ist das eine richtig üble Masche, um an kreative Arbeit und innovative Ideen zu kommen, ohne dafür jemand Externen beauftragen und angemessen entlohnen zu müssen.

Warum gibt es solche Aufrufe nicht an Anwälte, Steuerberater oder Versicherungsvertreter? – Es wäre undenkbar, dass sich jemand aus der Zahlen-Daten-Fakten-Ecke für sowas hergeben würde. Da ist selbstverständlich: Leistung kostet. Punkt. Anders scheint dies offensichtlich in vielen kreativen Köpfen auszusehen.

Ich kann nachvollziehen, dass sich kreativer Output in Form von Ideen oder Konzepten schwer greifen lässt und daher viele den Wert dahinter gar nicht sehen.

All jenen möchte ich gern ans Herz legen, dass Konzeptualisierung und das Hervorbringen neuer, innovativer Ideen eine enorme Leistung von unschätzbarem Wert darstellt. Marketingagenturen haben das erkannt und sind mitunter eine der wenigen Kreativen, die sich ihre Konzepte teuer bezahlen lassen. Als Künstler*innen sollten wir uns davon unbedingt eine Scheibe abschneiden!

Ich kann es nur immer und immer wieder betonen: Erkennt euren Wert. Verkauft euch nicht unter Preis! Denn damit schadet ihr nicht nur euch, sondern auf lange Sicht – wie ich sehr eindrücklich aufgezeigt habe – einer gesamten Branche.

Wenn du dich wiedererkennst und jetzt denkst „ohje, ich wusste es einfach nicht besser!“, dann ist das die ideale Gelegenheit, in Zukunft etwas zu ändern. Solltest du Unterstützung brauchen und dir Begleitung wünschen, dann melde dich gern bei mir.  All meine Angebote findest du unter: artista.business 

Artista

Artista | Maria Chiariello

Ich bin Berufskünstlerin und Mentorin. Hier schreibe ich über künstlerisch-kreatives Potenzial in beruflichen Kontexten. Ich freue mich, wenn ich inspirieren kann.

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