Herzlich willkommen zur sechsten Ausgabe von „Kunst als Strategie“. Zugegeben, dieser Newsletter fällt ein wenig aus der Reihe. Und nein, nicht weil heute Weihnachten ist. Den ganz Aufmerksamen wird sicher aufgefallen sein, dass ich von meinem üblichen Zeitintervall abweiche und mit einiger Verspätung in euer Postfach rein purzle. Der Grund dahinter soll auch mein heutiges Thema sein, nämlich mein Auszug und der damit verbundene Start in ein „neues Leben“. Warum nicht über die Feiertage darüber lesen? 😉 Aber um das alles in einen geordneten Kontext zu bringen, erlaube mir ein wenig auszuholen. Starten wir einen kleinen Exkurs in mein Privatleben. Ready?
Ich bin jetzt seit über 10 Jahren selbstständige, darstellende Künstlerin. Meine Selbstständigkeit begann 2011 mit verschiedenen kreativen Ideen, die von Workshops für Kinder, Klanggeschichten und spielerisches Fremdsprachenlernen bis hin zu ersten Ideen für eigene Theaterstücke reichte. Wobei ich dazu sagen muss, dass meine Reise nicht allein begann. Von Anfang an war ich Teil eines Duos. Der zweite Part war (und ist nach wie vor) mein Partner & Lieblingsmensch, mit dem ich von Anfang an durch dick und dünn gehe.
Gemeinsam schufen wir 2011 „mitossi“, unsere kreative Spielwiese. Über die Jahre wuchs das Projekt. Und aus Leidenschaft wurde Beruf. Wir wurden hauptberufliche, darstellende Künstler. Verdienten lange Jahre unsere Brötchen mit Live-Unterhaltung, in Form von (mobilen) Kindertheateraufführungen und musikalischen Shows. Ein weiteres Standbein war lange Zeit zusätzlich auch die Livemusik, die mein Partner mitbrachte.
Wir brauchten etwa drei Jahre, um uns am Markt zu etablieren. Von 2014 bis 2017 lief unser Geschäft am besten. 2018 merkten wir das erste Mal einen Bruch - und unseren ersten finanziellen Engpass. In dem Jahr war irgendwie der Wurm drin. Die Auftragslage war dürftig und irgendwie war nach nun 7 verflixten Jahren im Dienstleistungssektor auch bei uns die Luft raus. Wie es in solchen Krisen so ist: du fängst an, die Situation zu hinterfragen. Die Ausgangslage sah so aus, dass wir Buchungskünstler im Veranstaltungssektor waren und unsere Kunst als Service verkauften. Puh - irgendwie nicht das, was wir uns zu Beginn unserer Selbstständigkeit 2011 für unsere Zukunft erträumt hatten.
Geträumt hatten wir immer davon, uns „hochzuspielen“, „in andere Kreise zu kommen“, „in geilen Locations zu spielen“, „eine eigene Show zu haben“, „um die Welt zu touren“ - die Liste war endlos.
Retrospektiv betrachtet traf uns 2018 eine Welle der Desillusion und wir mussten uns eingestehen, dass wir künstlerisch eigentlich nicht wirklich was erreicht hatten. Wir waren in unserem persönlichen Alltagstrott gefangen, der sich zwischen Phasen mit vereinzelten Auftritten und monatelangen Episoden daheim hinter dem Laptop abspielten. Klingt unsexy, ich weiß. Aber wenn du so wie wir, alles selbst in die Hand nimmst, dann besteht 90 % der Zeit als hauptberufliche, darstellende Künstler darin, Aufträge zu akquirieren und dementsprechend Mails, Pressemitteilungen o.ä. zu verfassen, die sozialen Medien zu bespielen und einfach dafür zu sorgen, dass die Welt mitkriegt, dass du existierst.
Tja nun - und dann, kurze Zeit später kam Corona. Dies riss uns schlussendlich den restlichen Boden unter den Füßen weg. Existenziell sowie auch mental waren wir am Ende. Wir waren isoliert, unserer Auftritte beraubt, frustriert und mütend. Was uns am meisten zu schaffen machte, war die Erkenntnis, dass unsere Kulturlandschaft für unsere Gesellschaft eine „nicht systemrelevante“ Frezeitbeschäftigung war. Ein Tritt in die Magengrube für all das, was Künstler*innen tagtäglich für unser soziales Miteinander leisten.
Schlussendlich stand fest: so geht es für uns nicht mehr weiter. Wir müssen etwas ändern. Wir wollen dieses Leben nicht mehr. Wir wollen nicht auf der einen Seite Künstler und auf der anderen Dienstleister sein. Wir wollen kein Doppelleben zwischen Künstleralltag und gutbürgerlichen Umfeld. Wir wollen uns verwirklichen. Wir wollen etwas bewegen.
Also begannen wir uns zu „verändern“. Ich trat endlich mit meiner langjährigen Idee eines Mentoringprogramms für Künstler*innen nach draußen. Die erste Idee um ARTISTA wurde 2020 an einem meiner Tiefpunkte geboren. Mein Freund entschied, sich auf seine eigene Musik zu konzentrieren und seine Rolle als „Covermusiker“ auszuschleichen.
Gemeinsam als mitossi entschieden wir, großen Teilen des Dienstleistungssektors final den Rücken zu kehren. Wir entwickelten indessen ein neues Projekt nach sozial unternehmerischen Maßstäben und beschlossen, unsere Kunst nur noch in relevanteren Rahmen zu präsentieren. Wir beschlossen mehr zu reisen, unsere Kunst an andere Orte zu bringen. Wir setzten uns in den Kopf „tourende Künstler“ zu werden, sobald sich die Situation wieder entspannen würde.
Was wir nicht taten: uns einen „anderen (richtigen) Job“ suchen, so wie es die Gesellschaft tagtäglich direkt oder indirekt predigte. Ja, für manch einen mag das an schieren Wahnsinn grenzen, wenn doch gerade die Kultur „tot“ ist, überhaupt noch an dieser festzuhalten. Für uns ist es aber mehr als das. Künstler zu sein, ist unsere Identität. Es gibt für uns keinen Plan B. Wir haben uns der Kunst verpflichtet, mit all den Konsequenzen. Und ja, der Preis ist zeitweise hoch. Existenzängste gehören dazu. Aber auf der anderen Seite auch die Gewissheit, dass das, was du tust, wertvoll ist und Menschen auf tiefer Ebene erreicht, wie nichts anderes das jemals könnte. Sowie das erfüllende Gefühl, dass du etwas tust, was dein eigenes Leben bereichert.
Wir kämpften einen leisen Kampf. Wir erfanden uns Stück für Stück neu und begannen in manchen Punkten quasi bei 0.
Und 2022 war es dann soweit. Diese längere Tour sollte kein Urlaub werden, sondern unser Leben als „tourende Künstler“ einläuten. Und ich würde so gern berichten, dass wir damit erfolgreich waren und sich alles zum Guten wandte, doch das wäre nicht mein Leben.
Die Wahrheit ist, dass wir so ausgelaugt durch die vorangegangenen Jahre waren, dass wir Wochen brauchten, um uns zu erholen. Drei Monate lang fuhren wir quer durch Italien und Sardinien ohne uns auch nur einmal in Showoutfits zu werfen. Wir verdienten auf dieser Tour keinen einzigen Cent, im Gegenteil: wir gaben unser spärlich Erspartes aus und beschlossen, schweren Herzens, unsere Reise aus finanziellen Gründen für beendet zu erklären. Wir waren gescheitert. Wir fuhren zurück in unser „altes Leben“, in unser gewohntes, langweiliges Umfeld und ärgerten uns über uns selbst.
Die nächsten Monate waren geprägt von stupider Arbeit und den gewohnten Mustern. Jeder Tag verschwamm zum gleichen Einheitsbrei. Geld musste beschaffen werden. Das taten wir irgendwie. Unsere Integrität litt. Wieder ließen wir uns dazu verleiten, Aufträge anzunehmen, die wir eigentlich nicht mehr machen wollten. In der Not frisst der Teufel Fliegen. Wieder lebten wir das verhasste Doppelleben. Immer wieder das gleiche zermürbende Gespräch: „Wohnung abgeben, ja, nein.“ Ich weiß nicht, wie oft wir die Vor- und Nachteile durchgegangen sind. Ich kann nicht mehr zählen, wie viele Pro-/ Contra-Listen wir führten. Wir entschieden uns immer für die Komfortzone. Wir hielten uns an dieser Wohnung fest.
Zum Ende des Jahres 2023 dann der zweite Versuch. Diese Reise sollte anders werden. Jetzt hatten wir einen Plan: regelmäßige Straßenmusik sollte uns Geld für den Sprit einspielen und wir würden in Cafés nach Auftrittsmöglichkeiten fragen. Also Showequipment wieder ins Auto und los geht's. Ciao Wohnung, hallo Tourleben.
Was dann passierte, ist ein klassischer Fall von Theorie ist nicht gleich Praxis. Unsere Idee war gut gedacht, aber die Nebensaison im Süden Italiens ist eher nicht das beste Pflaster für aufstrebende Künstler*innen. Zeitweise war es viel zu kalt, viel zu nass und viel zu wenig besucht, als dass sich die Mühe gelohnt hätte dort Straßenmusik zu machen. Wir erspielten zwischen 2 und 15 € pro Session. Wir bewegten uns im Schneckentempo vorwärts, weil wir immer nur so viel Tanken konnten, wie wir eingespielt hatten.
Cafés, Restaurants & Bars lehnten unsere Angebote dankend ab. "Zu wenig los". Wir saßen mitten im italienischen Winter in unserem Van und konnten uns weder vor noch zurückbewegen. Unsere Ersparnisse neigten sich dem Ende. Und wenn du denkst, dass es nicht schlimmer kommen kann, dann wirst du eines Besseren belehrt. Wir hatten auf einem unserer Konten einen kleinen „Notfond“, der für unser Sozialprojekt (Crazy Heart Tour) gedacht war. Mit diesem Geld, was größtenteils aus Spenden bestand und unsere Auslagen decken sollten, wollten wir entlang der Route beeinträchtigten Menschen in entsprechenden Einrichtungen eine Freude machen.
Plötzlich, der Schock: die Karte ist sicherheitsbedingt gesperrt, das Geld auf dem Konto ist weg! Wir wurden Opfer eines ausgeklügelten Phishing-Angriffs und um das Geld gebracht, was eigentlich unserem Sozialprojekt zugutekommen sollte; ungewiss, ob wir überhaupt etwas davon zurückbekommen würden.
DAS WAR'S. Geknickt traten wir die Heimreise an. Wir waren erneut gescheitert. Doch diesmal hatten wir es immerhin versucht. Wir waren zumindest den kleinen Schritt weiter gekommen, dass wir unsere Kunst zumindest aus dem Kofferraum auf die Straße geholt hatten. Trotzdem fühlten wir uns als Verlierer.
Das gesamte nächste Jahr wurde zum Delirium. Immer die gleichen Gespräche, immer wieder Zweifel. Wir drehten viele, viele Runden auf dem "Was wäre wenn..."- Karussell. Phasen der Motivation wechselten sich mit Phasen der Verzweiflung ab. Und gleichzeitig versuchten wir irgendwie zu überleben, die Fassade aufrecht zu erhalten, den Laden - irgendwie - am Laufen zu halten. Immer und immer wieder überdachten wir unsere Ziele, setzten neue Prioritäten. Unsere Selbstständigkeit wurde Work in Progress.
Schon Scheiße, wenn du auf der einen Seite weißt, was du so gar nicht mehr machen willst, aber auf der anderen Seite die Alternative fehlt, die dich tragen kann. Im Grunde starteten wir mit jeder neuen Idee bei 0. All unsere Erfahrung und all unsere Reputation waren im Hinblick neuer Zielgruppen nichts wert.
Und das nächste Problem: wir hatten keine Zeit, unsere Projekt langsam aufzubauen und auf den Erfolg zu warten. Wir mussten besser gestern als heute mit unseren Sachen vorankommen, da uns unsere Lebenshaltungskosten im Nacken lagen. Ein Teufelskreis, der uns immer wieder vom neuen Weg abbrachte und dazu führte, dass wir Gigs annahmen, nur um über die Runden zu kommen.
Im Herbst '24 - nachdem wir 10 Monate ohne Pause durchgearbeitet hatten - beschlossen wir endlich das, was schon jahrelang immer wieder in der Luft hing: wir kündigten unsere Wohnung. Binnen eines Monats fanden wir eine neue Nachmieterin, organisierten uns eine Lagermöglichkeit für unsere Habseligkeiten, lösten das "Problem Meldeadresse", richteten unseren Van her und stemmten mitten im Weihnachtsgeschäft zwischen Proben und Auftritten einen gesamten Wohnungsumzug.
Meine aktuelle "Wohnung" misst nun seit drei Wochen ca. 6 qm und ist auf vier Reifen unterwegs. Mitten im deutschen Winter sind wir in unseren Tourvan gezogen.
Und weißt du was? Ich fühle mich befreit. Vielleicht musste ich mich erst selbst der Komfortzone berauben, um meinen Weg als tourende Künstlerin wirklich zu finden.
Vielleicht musste ich erst alles loslassen, um ohne Alternative und Wahl meinen künstlerischen Erfolg an die höchte Stelle zu stellen. Fakt ist, dass ich ein erfüllendes Leben führen möchte. Ich möchte meine Kreativität ausleben und davon leben können. Beruflicher und finanzieller Erfolg sind mir dabei genauso wichtig, wie die Sache die ich tue. Das Leben, auf welches ich 2024 zurückschaue war kein erfülltes Leben. Zwar hatte ich eine schöne, gemütliche Wohnung, habe Annehmlichkeiten genossen, die der Standard so bietet, wohnte in einem "ordentlichen" Umfeld - und doch ich habe mich dort weder wohl geschweige dem "angekommen" oder anerkannt gefühlt.
Die Wahrheit ist, dass ich den Ort an den ich gehöre, noch nicht gefunden habe. Alles was ich weiß, ist, dass ich die Unabhängigkeit und Selbstständigkeit jeglichem "geregelten Tagesablauf" vorziehe. Ich bin kein Typ für einen 0815-Job. Die ganze Zeit an einem Ort zu sein macht mich nicht glücklich. Ich will reisen, die Welt sehen. Ich brauche Inspirationen und will gleichzeitig inspirieren. Ich bin eine Künstlerin, Träumerin und Visionärin. Ich habe Ideen, will Dinge und Menschen bewegen. All das kann ich nur, wenn ich unkonventionelle Wege gehe. Deshalb schlug ich meinen "Weg des Künstlers" mit all seinen Konsequenzen ein.
Ich will das nicht beschönigen. Mein Lebensmodell ist ein Extrem. Und ich rate niemandem es mir gleichzutun. Aber vielleicht hilft der Blick in mein Leben jemandem, seine eigenen Schlüsse zu ziehen. Denn letztlich geht es darum, den für sich passenden Weg zu finden. Und das ist womöglich bereits der erste Schritt zur Erfüllung.
Und mit diesem letzten Satz beende ich den heutigen Exkurs auch wieder.
Ich hoffe, dass euch der Blick hinter die Fassade von ARTISTA irgendetwas für eure eigenen Entscheidungen und euer Leben auf den Weg gibt. Vielleicht passt das ja sogar zum Ende des Jahres...
Wenn ihr Feedback senden möchtet, dann sehr gern.
Ich wünsche euch allen ein tolles Weihnachtsfest und einen gesunden Start ins Jahr 2025. Möget ihr all das erreichen, was ihr euch vorgenommen habt.
Danke für's Lesen!
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